Key-Feature-Probleme entwickeln: Eine praxisnahe Anleitung für Lehrende in der Medizin
11. Oktober 2021 | Zuletzt aktualisiert am 12. August 2025
Wie Sie aus einem klinischen Fall eine aussagekräftige Prüfungsaufgabe entwickeln
Sie kennen das bestimmt: Sie sollen eine Prüfungsaufgabe erstellen und stehen vor einem klinischen Fall wie vor einem Rezept ohne Zutatenliste. Wo fangen Sie an? Was gehört hinein? Und wie wird daraus eine faire, aussagekräftige Prüfung?
Die Entwicklung von Key-Feature-Problemen (KF-Problemen) ist wie das Kochen eines mehrgängigen Menüs – es braucht die richtigen Zutaten, eine durchdachte Reihenfolge und etwas Übung.
Was Sie in diesem Artikel erfahren
- Warum Key-Feature-Probleme wie ein gut komponiertes Menü funktionieren
- Die 8 Schritte zur Entwicklung einer aussagekräftigen Prüfungsaufgabe
- Praktische Tipps aus der Lehrpraxis
- Häufige Fallstricke und wie Sie diese vermeiden
Hinweis: Auch wenn der Begriff „Key-Feature-Problem“ nicht besonders elegant klingt – die Methode dahinter ist bewährt und hilfreich.
Schritt 1: Den Kontext definieren – Das Fundament legen
Bevor Sie mit dem „Kochen“ beginnen, müssen Sie wissen, für wen Sie kochen. Stellen Sie sich folgende Fragen:
Was soll geprüft werden?
- Welche Domäne steht im Fokus Ihrer Prüfung?
- Welche klinischen Probleme und Differentialdiagnosen gehören dazu?
- Stimmen Ihre Prüfungsinhalte mit den Lernzielen überein?
Wie beim Segeln brauchen Sie einen klaren Kurs, bevor Sie die Segel setzen. Ein Lernzielkatalog ist hier Ihr Kompass – falls Sie keinen haben, erstellen Sie einen. Ihre Prüfung sollte nie zum Blindflug werden.
Praxistipp: Sprechen Sie mit Kolleg:innen über die Lernziele. Oft entstehen dabei die klarsten Einsichten darüber, was wirklich wichtig ist.
Schritt 2: Die klinische Situation wählen – Den richtigen Rahmen schaffen
Jetzt wählen Sie die Rahmenbedingungen Ihres Problems. Denken Sie daran: Wie würde der Patient oder die Patientin die Beschwerden schildern?
Bordage und Kollegen haben fünf bewährte Situationen definiert:
- Undifferenziertes Problem – der klassische „unklare Bauchschmerz“
- Typisches oder atypisches Problem – je nach Expertise Ihrer Studierenden
- Multiples Problem – wenn mehrere Systeme betroffen sind
- Lebensbedrohliche Situation – Notfälle erfordern schnelle Entscheidungen
- Vorsorge und Gesundheitsförderung – die präventive Medizin
Wichtig: Für Studierende mit mittlerem Erfahrungsstand verwenden Sie typische, klassische Fälle. Atypische Präsentationen sind wie scharfe Gewürze – sparsam und gezielt einsetzen.
Schritt 3: Key Features identifizieren – Die kritischen Momente finden
Das ist der anspruchsvollste Teil – wie das perfekte Timing beim Backen eines Soufflés. Sie müssen die kritischen Schritte bei der Problemlösung „herauskitzeln“ und definieren.
Mein Rat: Entscheiden Sie sich für 2-3 Key Features pro Fall. Nicht mehr, nicht weniger.
Bewährter Ansatz: Denken Sie an VIELE Fälle EINES Problems und listen die gemeinsamen Key Features auf. So schaffen Sie sich einen Vorrat für künftige Prüfungen.
Kollegialer Tipp: Besprechen Sie Ihre Key Features mit Kolleg:innen. In der Diskussion werden die wirklich wichtigen Punkte oft klarer – wie beim gemeinsamen Kochen, wo die besten Rezepte entstehen.
Fallstrick vermeiden: Ist Ihr Problem zu allgemein (z.B. „Alkoholabusus“), wird die Key-Feature-Definition schwierig. Ist es zu spezifisch, schränken Sie sich unnötig ein. Finden Sie die goldene Mitte.
Schritt 4: Das klinische Szenario schreiben – Die Geschichte zum Leben erwecken
Sie haben die Key Features definiert – jetzt brauchen Sie den passenden klinischen Fall. Die Länge Ihrer Fallvignette richtet sich nach den gewählten Key Features.
Mindestinformationen, die gehören hinein:
- Alter und Geschlecht
- Allgemeinzustand
- Grund der Vorstellung
- Setting (Praxis, Notaufnahme, Station)
Faustregel: Fokussieren die Key Features auf die Diagnose, kann die Vignette kurz sein. Geht es um Labor oder Therapie, brauchen Sie mehr klinische Details aus Anamnese und Untersuchung.
Schritt 5: Die Key-Feature-Fragen formulieren – Präzise auf den Punkt
Hier entstehen Ihre eigentlichen Prüfungsfragen. Ein Fragenstamm besteht aus einer direkten Frage – klar und verständlich.
Strukturierung:
- Direkte Frage stellen
- Bei Bedarf zusätzliche Fallinformationen ergänzen
- Kurze Bearbeitungshinweise geben („Wählen Sie genau fünf Antworten“)
Praxisregel: Meist entsteht aus einem Key Feature eine Prüfungsfrage. Eine Fallvignette reicht in der Regel für alle Key Features aus.
Achtung: Bei Gefahr von „Cueing“ (gegenseitige Beeinflussung der Fragen) brauchen Sie eine neue Vignette.
Schritt 6: Das Antwortformat wählen – Die richtige Darreichungsform
Sie haben drei Optionen:
Write-In (WI) Format:
- Freie Texteingabe
- Ideal für Differentialdiagnosen und Therapiefragen
- Wie ein offenes Gespräch mit dem Patienten
Short Menu (SM) Format:
- Auswahl aus 15-20 vorgegebenen Alternativen
- Perfekt für das Einholen weiterer Daten
- Ähnlich dem Multiple-Choice-Prinzip
Long Menu (LM) Format:
- Alphabetische Listen mit mindestens 500 Optionen
- Bessere Computerauswertung als WI
- Minimiert Cueing-Effekte
Persönliche Anmerkung: Ich bin gespannt auf den Tag, an dem ich am Patientenohr ziehen kann und eine Auswahliste erscheint…
Schritt 7: Das Bewertungsverfahren festlegen – Faire Punktevergabe
Definieren Sie klar, welche Antworten wie viele Punkte bringen. Ihr Bewertungsschlüssel sollte enthalten:
- Liste der richtigen Antworten
- Punktevergabe für Volltreffer
- Teilpunkte für akzeptable Alternativen
Wichtig: Die Antworten aller Key Features eines Problems sollten sich zu 1,0 summieren.
Schritt 8: Inhaltsvalidierung – Der Praxistest
Starten Sie einen Pilotversuch – auch wenn es nur 10 Studierende sind. Wie beim Kochen hilft das Probieren:
Vorteile des Pilotversuchs:
- Korrektur problematischer Fragen durch Antwortverteilung
- Auffinden von Synonymen für die Bewertung
- Empirische Basis für Bestehensgrenze
Quelle: Kopp et al. GMS Z Med Ausbild 2006;23(3):Doc50. Open Access unter Creative Commons Lizenz.
Mein Fazit: Übung macht den Meister
Die Entwicklung von Key-Feature-Problemen ist wie das Erlernen eines neuen Kochrezepts – am Anfang dauert es länger, aber mit Übung entwickeln Sie ein Gefühl dafür. Jede Aufgabe, die Sie erstellen, macht Sie besser.
Denken Sie daran: Sie entwickeln nicht nur eine Prüfungsaufgabe, sondern ein Werkzeug, das die klinische Denkweise Ihrer Studierenden fördert. Das ist ein wertvoller Beitrag zur Ausbildung der nächsten Ärzt:innen-Generation.
Haben Sie schon Key-Feature-Probleme entwickelt? Welche Erfahrungen haben Sie gemacht? Ich freue mich auf Ihre Rückmeldung.
Die Quintessenz: Key-Feature-Probleme in 60 Sekunden
Das Wichtigste auf einen Blick:
Key-Feature-Probleme entwickeln ist wie ein Rezept abarbeiten – Schritt für Schritt zum Erfolg:
- Kontext klären – Was soll geprüft werden? (Lernziele = Ihr Kompass)
- Situation wählen – Typische Fälle für Anfänger, komplexere für Fortgeschrittene
- Key Features finden – Die 2-3 kritischen Entscheidungsmomente identifizieren
- Fall schreiben – Kurz und präzise, alle nötigen Infos für die erste Frage
- Fragen formulieren – Direkt und klar, eine Frage pro Key Feature
- Format wählen – Write-In für Diagnosen, Short Menu für weitere Daten
- Bewertung festlegen – Klare Punkteverteilung, alles summiert sich zu 1,0
- Pilotieren – Auch mit nur 10 Studierenden testen
Der Knackpunkt: Schritt 3 ist der schwierigste – diskutieren Sie die Key Features mit Kolleg:innen. In der Diskussion wird klar, was wirklich zählt.
Häufigster Fehler: Das Problem zu allgemein oder zu spezifisch fassen.
Mein Tipp: Starten Sie einfach. Jede Aufgabe macht Sie besser – wie beim Kochen entwickeln Sie mit der Zeit ein Gespür dafür.